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"... Über einer Reihe von Handwaschbecken und Zubehör hängen als Wasch- beckenwände Texttafeln in Silberblech. Während des Waschens schaut der Handelnde einer verbrei- teten Gewohnheit gemäß vor sich auf die Texttafeln. Dabei wird allmählich die Einheitlichkeit von Hände- waschen und Lesen in der Sprachmetaphorik von »seine Hände in Unschuld waschen« hergestellt ..."
 
Bazon Brock
Unschuld – Schuld – Untexte

Sieben verschiedene Texte auf acht Tafeln, Reliefprägung in Aluminiumblech, in einer Installation mit montierten Waschvorrichtungen.

Texttafeln: Unschuld – Schuld – Untexte, Ausstellung im Kuppelsaal der Hamburger Kunsthalle 1970
Unschuld – Schuld – Untexte, Ausstellung im Kuppelsaal der Hamburger Kunsthalle 1970
Texttafel 1

Plötzlich stand ich vor der Wohnungstür von Herrn Dombritsch und las ein bedrucktes Schild:

  Bin verreist, komme zurück.
16.7. Bin verreist aus Gründen der Unzufriedenheit.
18.7. Bin verreist aus Sehnsucht.
19.7. Bin verreist, um mich auszuweinen.
2.8. Bin verreist, um zu verfolgen.

Als ich heute zu Dombritsch's Wohnung kam, war kein Schild an der Tür. Endlich konnte ich eintreten. Frau Dombritsch öffnete, und ich sagte ihr, daß ich eine Wohnung in der Sotterstraße gekauft hätte, und daß ich mich freuen würde, wenn sie mich mit Herrn Dombritsch in der neuen Wohnung besuchen würde.
D.R.

Texttafel 2

Ich saß auf einem Stuhl und blickte - da ich meinen Körper um neunzig Grad zu meiner Sitzrichtung drehte - auf eine Tür. Plötzlich vernahm ich ein Geräusch, welches mit sehr kurzen Unterbrechungen etwa vier Sekunden anhielt. Der Stuhl, auf dem ich saß, war jetzt leer.
D.R.

Texttafel 3

Ich stand unbewegt vor dem Fenster. Als ich zu überlegen begann, entdeckte ich unmittelbar vor der Außenseite der Fensterscheibe eine Blume, deren Blüte schwarz war. Plötzlich schlug ich mit meiner rechten Hand, welche zu einer Faust geballt war, gegen die Innenseite der Glasscheibe. Gleich darauf hielt ich die Blume, deren Blüte jetzt rot war, in meiner entkrampften Hand. Das Blut, das von meiner Hand auf die Blume rann, färbte die Blüte goldgelb.
D.R.

Texttafel 4

Nachdem ich mich mit Herrn Akolt über die Verkaufsbedingungen einig geworden war, gingen wir zusammen ins Lift-Kino. Dort wurde ein packender Film gezeigt. Als der Killer - Mr. Wimpelt - den leeren Raum betrat, war Herr Akolt plötzlich verschwunden. In dem Moment, als sich die zweite Tür des Raumes öffnete, sah ich Akolt unmittelbar vor der Kinoleinwand. Mr. Wimpelt schoß; Akolt griff nach dem Revolver des Killers; die erste Tür wurde zugeschlagen, und durch die zweite Tür stürmten fünf Polizisten herein. Kurz darauf wurde Mr. Wimpelt abgeführt. Die jetzt folgende Szene zeigte Mr. Wimpelt im Polizeirevier. Herr Akolt saß wieder neben mir. Mr. Wimpelt wurde verhört.
D.R.

Texttafel 5

Ich stand vor dem Spiegel und bedeckte meine untere Gesichtshälfte mit Seifenschaum. Wie an jedem Morgen sprach ich dabei zu mir selbst. Auch die Worte die ich sprach, waren jeden Morgen die gleichen. Plötzlich klopfte es von draußen an die Fensterscheibe. Noch mit dem Rasierpinsel in der Hand stürzte ich an das Fenster. Die klare Fensterscheibe hemmte meine Sicht nach draußen. Sofort begann ich ein rundes Loch in das Fensterglas zu schneiden. In einer knappen Minute war dies geschafft. Fräulein Pinsch stand mir gegenüber, und ich war neugierig zu sehen, was sie mir sagen wollte.
D.R.

Texttafel 6

Nach längerer Zeit saß ich endlich gegenüber.
Ich begann sofort zu fragen: "Warum warten Sie?" "Weil ich mich fühle." "Sie warten also, weil Sie sich fühlen?" "Nein, Sie verstehen mich falsch!" "Ich fühle mich, weil ich warte."
D.R.

Texttafeln 7 und 8

Ich ließ meine Beine und Arme in Ketten fesseln. Dann wurde mein Mund mit einem großen Heftpflaster verschlossen. Danach klebte man meine Augenlider fest aneinander. Die Finger meiner Hände und die Zehen meiner Füße wurden abgetrennt, numeriert, in einer Plastiktüte fest verschlossen, welche man mir mit einer starken Schnur um den Hals band. Meine Ohrmuscheln wurden nach vorn gestülpt; mit Heftnadeln an der Schädeldecke festgesteckt und so mit Kautschuk überzogen. Meine Haare bündelte man zehnerweise und überzog jetzt meinen Kopf mit einer Plastiktüte. Danach band man meinen Penis an den Oberschenkel meines linken Beines und schraubte auf die Eichel meines Gliedes eine Kunststoffkapsel. Zum Schluß schloß man meinen After mit Gips und nähte meine beiden Gesäßbacken mit einem Lederriemen eng zusammen. Dann trug man mich mit einer Sänfte in eine glückliche Welt.
D. R.

(Text auf 2 Tafeln)

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